Kuriositätenkabinett VfL Stade. Diese Handball-Mannschaft schreibt gleich drei Geschichten. Keine sonderlich große Erfolgsstory in der untersten Liga. Aber dafür menschliche Geschichten über Familienbanden und alte Haudegen.

13 Mal trägt sich ein Schubert in die Torschützenliste ein. Die Handballer des VfL Stade spielen gegen den VfL Sittensen und gewinnen 22:19. „Haben die nicht noch mehr davon? Die können ja bald eine eigene Mannschaft aufmachen“, sagt der Sekretär, der am Zeitnehmertisch für die Statistik zuständig ist.
Für eine halbe Mannschaft reicht es. Christian Schubert ist 57 Jahre alt. Vater von drei Söhnen. Aber als er 1989 mit dem Handballspielen angefangen hat, waren seine Kinder allenfalls Bestandteil der langfristigen Familienplanung. Heute sind Jannis 27, Niclas 25 und Finn 20 Jahre alt. Schon kurz nach ihrer Geburt waren sie Dauergast in den Sporthallen in der Region, immer dabei, wenn die Eltern spielten. Auch Mutter Meike war lange sportlich erfolgreich unterwegs. Die Jungs lümmelten sich auf der Weichbodenmatte am Spielfeldrand oder warfen in der Pause ein paar Bälle aufs Tor. „Mein größter Wunsch war es, dass wir mal alle zusammen auf der Platte stehen“, sagt Christian Schubert.
In dieser Saison erfüllte sich der Wunsch des Vaters. Die Achse auf der rechten Seite des VfL Stade in der Regionsliga, der untersten Liga in Deutschland, heißt Schubert. Der Vater spielt auf Rechtsaußen. Je nach Personallage sammelt Christian Schubert in der Regel 30 Minuten Spielanteile pro Partie. Wenn er die Außenbahn beackert und die Reaktionen auf der gegnerischen Ersatzbank aufschnappt, muss er grinsen. „Der ist 25 Jahre älter als du und macht dich trotzdem nass.“ Dies ist so eine typische Reaktion eines gegnerischen Trainers, wenn einer seiner Spieler Christian Schubert ob seines Alters mal wieder unterschätzt. „Es gibt keine größere Motivation“, sagt Christian Schubert.
Seine Söhne indes sammeln in der Liga eifrig Rekorde. Der Älteste, Jannis, steht im Tor. Zuletzt gegen den VfL Sittensen betrug seine Quote gehaltener Bälle rund 60 Prozent. Er entschärfte Siebenmeter und Tempogegenstöße. Jannis Schubert kennt keine Angst zwischen den Pfosten. Unorthodox agiert er, stürzt raus, macht sich groß, ist aktiv und klebt nicht nur auf der Linie.

Der Jüngste hat am meisten Talent

Finn Schubert ist mit 20 Jahren der Jüngste in der Familienbande. Aber der Talentierteste. Seine Brüder und der Vater sagen, er habe in dieser Liga eigentlich nichts verloren. Aber er geht gern in der Regionsliga auf Torejagd. 54 Treffer in acht Spielen stehen in seiner Statistik.
„Ich wollte unbedingt mit der Familie zusammenspielen“, sagt Finn Schubert. Er spielte in der Jugend-Oberliga für den VfL Fredenbeck, in der Auswahl des Handballverbandes Niedersachsen und hätte auch heute das Zeug für höhere Klassen. Aber nach einigen Verletzungen habe die Motivation gelitten. „Für den VfL Fredenbeck war ich aber nicht gut genug“, sagt Finn Schubert.
Und der Mittlere? Der 25 Jahre alte Niclas. Der führt in der Regionsliga eine Statistik an, die viel über seine Spielweise aussagt: Die Zeitstrafen-Statistik. Zehn Mal schickten ihn die Schiedsrichter in sieben Spielen zum Nachdenken auf die Bank. Ein Mal kassierte er die Rote Karte. „Ich bin manchmal ein bisschen übermotiviert“, sagt Niclas Schubert. Er kann auch ungemütlich werden, wenn einer seiner Brüder heftig gefoult wird. Erst vor einigen Wochen bekam Finn Schubert von einem Gegner die Hand ins Gesicht. Die ganze Familie stürmte zum Ort des Geschehens. „Da ist schon ein wenig Angst vor Fouls da“, sagt der Vater. Es ist nicht schön anzusehen, wenn sich der eigene Sohn vor Schmerzen windet.
Eines haben die Söhne alle gemeinsam. Sie lernten bei Wolfgang Höft das Handballspielen.


Wolfgang Höft

Der Trainer, den in Stade jeder Handballer kennt

Wolfgang „Wolle“ Höft ist in Sachen Handball in Stade eine Institution. Seit 50 Jahren ist Höft im Verein organisiert. Seit 40 Jahren agiert er als Trainer. Er gehört mit seinen 67 Jahren mittlerweile zu den dienstältesten Trainern der Region. VfL Stade, TuS Güldenstern Stade, Handballspielgemeinschaft Stade. In den vergangenen 40 Jahren hatte Höft mindestens 600 Kinder betreut. Mindestens. Und jetzt auch noch die einzige Männermannschaft des VfL Stade.
„Aber die Kleinen sind mein Trainerdomizil. Da geht nichts drüber. Das treibt mich an“, sagt Wolfgang Höft. Die leuchtenden Kinderaugen der Minis, die gerade mal den Ball halten können. Höft strahlt, wenn er davon erzählt. „Frag mal nach Panama!“, sagt Höft. So heißt sein Grundstück im Benedixland in Stade. Zehn Meter breit, 260 Meter lang. Eine urige Hütte, eine Feuerstelle, Brombeeren, Kirschbäume, Wald, Plumpsklo. Eine Oase und jedes Jahr Spielwiese für die Kleinen bei der Saisonabschlussfeier. Jeder Stader Handballer kennt Panama.
Den Leistungsgedanken schiebt Wolfgang Höft ganz weit weg. Er will nicht nur den Sport vermitteln. Sozialverhalten, Steigerung des Selbstwertgefühls, Respekt vor den Mitspielern und vorm Gegner. Das sind seine Stichworte. Einiges davon projiziert Höft auch auf die Erwachsenen. Erst zuletzt vor dem Spiel gegen Sittensen verpasste er seinen Männern einen Einlauf, weil die den Gegner zunächst nicht ernstnahmen und mit einem Hauch von Überheblichkeit ins Spiel gingen.


Rüdiger Wolff

Der älteste aktive Handballer in der Region

Rüdiger Wolff ist jedwede Überheblichkeit im Sport fremd. Der Mann ist 72 Jahre alt. Er gilt als der älteste aktive Handballer in der Region. Und er spielt beim VfL Stade am liebsten auf den Außenpositionen oder am Kreis. Die Luft reicht für 15 Minuten pro Halbzeit. Sein Credo: „Schnell zurück in die Abwehr. Nach vorne kannst du dir Zeit lassen.“ Die Tempogegenstöße überlässt Wolff den Jüngeren.
„Rüdiger spielt sehr mannschaftsdienlich. Egal, wo es kneift, er ist da“, sagt Trainer Wolfgang Höft. „Auf diesen Burschen möchte ich nicht verzichten.“ Der Handballer bekleidet zwei Posten beim VfL. Spieler und Ersthelfer. Als gelernter Krankengymnast kümmert sich Wolff auf dem Spielfeld und der Bank um die Verletzten. Wolff ist ein Dauerbrenner. Die 72 Jahre sind ihm nicht anzusehen. Handball, Handballtrainer, Leichtathletik, Turnen, Reiten. Der Mann ist in vielen Sportarten vielseitig unterwegs.
Am Sonntag stehen die Familienbande und die alten Haudegen wieder auf und neben dem Spielfeld. Der VfL Stade empfängt den Tabellennachbarn aus Bremervörde in der Regionsliga. Unterste Liga. Abstieg nicht möglich. Insgeheim hofft Trainer Wolfgang Höft schon, dass der VfL Stade in Zukunft ein bisschen besser dasteht. Die Talente sind da. „Aber wenn richtig gute dabei sind, greifen andere Vereine sie ab“, sagt er. Höft findet die Entwicklung in einer 50 000-Einwohner-Stadt wie Stade „grottenschlecht“. Es müsse doch möglich sein, etwas Vernünftiges auf die Beine zu stellen.
Solange gilt in der ersten Männermannschaft des größten Vereins der Region: Die Jungen müssen laufen. Die Alten stabilisieren.
Quelle: Stader Tageblatt – Daniel Berlin

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