LANDKREIS. Die Vereine buhlen um die Zuschauer. Handballerinnen setzen sich Zipfelmützen auf, Kreisligakicker malen ihr Gesicht schwarz an, um dem Rassismus den Kampf anzusagen, in Mulsum haben sich Kickerinnen mal halb nackig gemacht für einen Kalender. So kreativ sind die Clubs in der Region.
Der Handball-Drittligist VVfL Fredenbeck setzt auf bewegte und bewegende Bilder bei Facebook. „Mit Videos kann man die Stimmung besser transportieren“, sagt Pressewart Jörg Potreck. Er interviewt Spieler und Fans und stellt die Filme online. 1500 Menschen folgen dem VfL. Auf einer Leinwand finden die Sponsoren ihre Logos wieder. „Die sind animiert und erhalten so mehr Aufmerksamkeit“, sagt Potreck. Die Clips seien nicht professionell, aber aktuell. „Es ist wichtig, dass wir nicht der Zeit hinterherhinken“, sagt der Geschäftsführer der Handball GmbH, Ulrich Koch. In den Medien präsent zu sein, sei obligatorisch. Ob Filme in sozialen Netzwerken, animierte Logos oder Texte auf der Internetseite mehr Menschen dazu bringen, die Spiele in der Halle zu besuchen, sei schwer messbar. Fakt ist aber, dass der VfL seinen Zuschauerschnitt in vier Jahren von 500 auf fast 1000 verdoppelt hat. Neben der Offensive im Netz greift der VfL auf Konventionelles zurück. Der Verein verlost Eintrittskarten, lädt die Bewohner einzelner Straßen zum Spiel ein oder schickt seine Spieler zu Sponsorenterminen. Bei einem Bettenhändler haben die Handballer mit Kissen geworfen.
Die Frauen des VfL Stade spielen in der Handball-Oberliga um den Aufstieg. Längst sind sie trotz aller ehrenamtlicher Strukturen im Verein in Sachen Marketing professionell aufgestellt. Die Trainerinnen Trula Diminidis und Kirsten Willmann verdienen mit einer Marketingagentur ihr Geld und sind im Verein hinter einem engagierten Team die treibenden Kräfte. Das Marketing beim VfL beginnt mit einer guten Leistung und einheitlichen Auftreten der Mannschaft. Stade kündigt seine Heimspiele auf allen Kanälen an, verlost Preise, die von Werbepartnern gestiftet wurden, und setzt interessante Vorspiele an, um die Zuschauer dazu zu bewegen, früher in die Halle zu kommen. Mit Einlaufkindern an der Hand sammeln die Spielerinnen Sympathiepunkte und pflegen den Kontakt in die Jugendmannschaften. Top-Spiele erhalten Event-Charakter. Sponsoren werden mit Newslettern versorgt, zu Spielen eingeladen und feiern mit den Spielerinnen Weihnachten. Diminidis und Willmann schauen durch die Brille möglicher oder bestehender Sponsoren und schnüren Pakete, die der Mannschaft weiterhelfen und dem Geldgeber Kunden bescheren. Spielerinnen generiert der VfL in Schul-Arbeitsgemeinschaften, beim Tag des Handballs, in Feriencamps oder beim Leiten von Trainingseinheiten.
Das Marketing beim TuS Harsefeld konzentriert sich vor allem auf den Internetauftritt und die Arbeit in der Geschäftsstelle. Jörg Heins, Leiter der Marketingabteilung, koordiniert die Homepage sowie die Facebookseite. Über das Internet könne man schnell, wichtige Informationen wie Trainingsplanänderungen übermitteln. Durch den medialen Austausch mit Mitgliedern würde man das Sportangebot auf die Interessen der Harsefelder zuschneiden. Die Anlaufstelle für Wünsche, Kritik und Anregungen außerhalb des Internets ist die Geschäftsstelle. Diese verzeichnete für das Jahr 2016 einen Mitgliederzuwachs. Konkrete Marketingmaßnahmen obliegen beim TuS Harsefeld den Sparten. Die Fußballer sind mit ihrer Präsenz in den sozialen Netzwerken und einer eigenen App Vorreiter für andere Vereine und Sparten. Alleine die Facebookseite der ersten Herrenmannschaft hat mit 750 Followern ein Vielfaches mehr an „Gefällt mir“-Angaben als die offizielle Seite des Turn- und Sportvereins Harsefeld (170). Mit einem Live-Ticker und Spielberichten arbeitet Teammanager Tim Schnoor an der Außendarstellung des Landesligisten. Schnoor war Initiator einer der kreativsten Marketingmaßnahmen des TuS. Am vergangenen Wochenende wurde ein Sammelbildalbum aller Harsefelder Fußballer präsentiert.
Vorreiter in der Region mit einem eigenen Stickeralbum war die Fußballabteilung des TVV Neu Wulmstorf – und die Aktion war ein voller Erfolg. „Wir haben fast 22 500 Sammelbilder verkauft“, sagt Initiatorin Nicola Haar. Gesammelt haben Jung und Alt. Bei den Tauschbörsen kamen auch Oma und Opa, um die richtigen Bilder für ihre kickenden Neffen zu ergattern. „Und viele erwachsene Spieler waren teilweise mit größerem Eifer dabei als die Kleinsten“, so Haar. Die ganze Aktion sei ein echtes „Aha-Erlebnis“ gewesen und sehr positiv für den Verein. Ob die Fußballabteilung des TVV deshalb einen stetigen Zuwachs verzeichnet, könne aber nicht gesagt werden.
Die VSV Hedendorf/Neukloster sind in der jüngeren Vergangenheit durch besondere Aktionen aufgefallen: 2015 war der WM-Pokal an der Feldstraße, in diesem Jahr holte der Verein den Sportmoderator und Kinderbuchautor Ulli Potofski zu einer Leseshow nach Hedendorf. „Wir wollen den unorthodoxen Weg gehen und den Menschen zeigen, dass der Verein lebendig ist und immer mal etwas zu bieten hat“, sagt Pressewart Thomas Butter. Er sagt, dass solche Aktionen für den Mitgliederzuwachs der vergangenen beiden Jahre mitverantwortlich seien. Seitdem Lutz Becker Vorsitzender ist, sind die VSV laut Butter aus der „verstaubten Ecke“ herausgekommen. Es gibt eine überarbeitete, schickere Internetseite, viele Sparten und Mannschaften pflegen eigene Facebook-Seiten, Berichte und Fotos werden auf dem Portal fupa.net veröffentlicht – ehrenamtlich. „Wir sind mit Lust und Laune dabei“, sagt Butter. Das habe die örtliche Wirtschaft bemerkt.
Der Buxtehuder SV ist der zweitgrößte Verein im Landkreis Stade. Und weil er so viele Mitglieder und Angebote hat, versucht der BSV, die vielen Menschen über verschiedene Kanäle zu erreichen. BSV-Geschäftsführerin Stefanie Teske nennt zunächst die klassischen Mittel: Flyer, Vereinszeitung und Hefte mit Sportangeboten. Seit wenigen Monaten ist der BSV verstärkt auf Facebook und Twitter aktiv. Teske bezeichnet sich und Pressewartin Sylvia Hesse als „zwei modern denkende Köpfe“, die den BSV im digitalen Bereich voranbringen wollen. „Wir müssen uns als Sportverein im Wettbewerb mit Fitnessstudios behaupten“, sagt Teske. Zugleich soll die analoge Schiene nicht vernachlässigt werden. Denn sobald die Vereinszeitung „BSV aktuell“ in den Briefkästen liegt, sei die Rückmeldung enorm.
Das Ranking der Fußballvereine im Netz: So viele Menschen folgen den Clubs bei Facebook
- SV Drochtersen/Assel (4600)
Der Facebook-Auftritt des Fußball-Regionalligisten hat aktuell 4600 Follower. Zum Vergleich: Dem Traditionsclub SV Meppen folgen bei Facebook knapp 16 000 Fans. Trotz einer starken Präsenz sei der Auftritt noch verbesserungswürdig, sagt Vereinspräsident Rigo Gooßen. Die neue Website über den Gesamtverein sei noch vor Weihnachten fertig. In Sachen Marketing sei D/A in den vergangenen ein bis zwei Jahren sehr gut aufgestellt gewesen. Allein durch das Merchandising verbuche der Verein ein deutliches Plus. Wichtig sei aber in erster Linie, die Leute vor Ort zu erreichen und die Menschen ins Stadion zu locken. Der Zuschauerschnitt pendelte sich jetzt bei etwa 1000 pro Spiel ein.
- Deinster SV (2190)
Am 30. März 2016 sorgte der Kreisligist Deinster SV in den sozialen Netzwerken für Aufsehen. Mit einem Post von einem Mannschaftsfoto, auf dem alle Spieler, Trainer und Betreuer mit einem schwarzen Gesicht gezeigt wurden, solidarisierte sich der Verein mit zwei seiner Spieler. Bei Facebook klickten 21 400 Menschen auf Gefällt mir, tausendfach wurde der Beitrag geteilt und erreichte damit ein riesiges Publikum in der ganzen Welt.
- MTV Hammah (1182)
Überraschend liegt der Kreisligaclub auf Rang drei. Engagierte Vereinsmitglieder sind in Hammah am Werk und sorgen für Aufmerksamkeit im Netz und für Aufbruchstimmung. Allen voran Marcus Wendt. Der Fußball-Trainer und Teammanager wird als „positiv verrückt“ beschrieben.
- TSV Elstorf (878)
- VfL Güldenstern Stade (738). Der VfL Stade und Güldenstern spielen erst seit diesem Sommer in einem Verein.
- TuS Harsefeld (732)
- VSV Hedendorf/Neukloster (728)
- Buxtehuder SV (723)
- FC Oste/Oldendorf (683)
- SG Lühe (578)
(Quelle: Facebook)
BSV setzt auf Exklusivität
BUXTEHUDE. „Wenn wir als Verein weiterkommen wollen, müssen wir uns professionell aufstellen“, dachte Manager Peter Prior und stellte Thorsten Sundermann ein. Der Handball-Bundesligist Buxtehuder SV hatte nun, im Sommer 2003, einen hauptamtlichen Marketingexperten. Im darauf folgenden Jahr eröffnete die Handball-Abteilung ein eigenes Büro an der Viverstraße – die „Handball-Marketing“. So professionell wie der Buxtehuder SV ist in Sachen Marketing kein anderer Verein im Landkreis Stade und der näheren Umgebung aufgestellt.
In erster Linie geht es um die Sponsoren. „Eigentlich ist Buxtehude für einen Bundesligaverein zu klein“, sagt Peter Prior. Um den Aufwand zu finanzieren, immerhin ein Etat von rund einer Million Euro, tut sich der BSV jedes Jahr schwer – schafft es aber immer wieder. „Die Vermarktung ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass es schon so lange Bundesliga-Handball in Buxtehude gibt“, sagt Prior. Nur durch ehrenamtliche Arbeit, ist sich der Manager sicher, sei das nicht zu leisten.
Der BSV bemüht sich darum, jedem Unternehmen eine Gegenleistung für das Sponsoring zu geben. Dies kann Werbung sein, das Wirtschaftsnetzwerk rund um den Handball oder auch die Identifikation mit dem BSV. „So etwas hat kein Verein in der Stadt und in der Umgebung zu bieten“, sagt Sundermann. Bei verschiedenen Events bringt er Sponsoren und Mannschaft zusammen. Ein wichtiges Instrument: „Die Sponsoren bekommen dadurch Exklusivität.“
Den Aufwand für gezieltes Marketing für Zuschauer und Fans halten die Buxtehuder dagegen gering. „Die Mannschaft ist selbst das Produkt, das begeistert“, sagt Sundermann. Auch die Nachwuchsarbeit sei für viele Menschen und Unternehmen ein gutes Argument, den BSV zu unterstützen. (tim)
3 Fragen an…
Prof. Dr. Andreas Hebbel-Seeger, Hochschule Marcomedia Hamburg
Welche Rolle spielt der Vermarktungsaspekt für Breitensportvereine?
Die Zielsetzung von Marketing kann unterschiedlich sein. Die einen Vereine versuchen, die Mitgliederzahl mindestens konstant zu halten, um über die Beiträge etwa den Sportbetrieb zu finanzieren. Andere Vereine überlegen wie die Großen, wer als potenzieller Sponsor auftreten könnte, und versuchen, sich zum Beispiel durch Stickeraktionen in Szene zu setzen. Ein Problem im Amateursport ist aber, dass sich viele Vereine nicht im Klaren sind, für wen und mit welcher Zielsetzung sie kommunizieren.
Welche Folgen hat das für die Vereine?
Der Druck der Professionalisierung wächst. Das liegt daran, dass die Selbstorganisation der Vereine durch Ehrenamtliche an ihre Grenzen stößt. Vielerorts gibt es bereits Zuständige für Marketingfragen. Eine Ursache ist aber auch der sich wandelnde Markt, auf dem Vereine mit kommerziellen Anbietern im Freizeitbereich konkurrieren und eine Zielgruppe mit Menschen, die Verabredungen lieber spontan und unverbindlich treffen. Es ist ein Problem für einen formellen Sportverein, wenn das Umfeld informeller wird. Das alles befördert eine Eventisierung von Vereinsangeboten, um vermeintlich wahrnehmbar und konkurrenzfähig zu bleiben. Das erschwert nicht nur die Vereinsorganisation, sondern verändert auch das Selbverständnis und die Angebotsstruktur.
Welche Rolle spielt dabei das Internet?
Über das Internet lässt sich eine Community aufbauen und das Commitment erleichtern, wenn beispielsweise ein Turnier als Live-Erlebnis via Twitter oder Livestream begleitet wird oder Mitglieder in die Selbstverwaltung des Vereins eingebunden werden. Auf der einen Seite profitieren Vereine so von der digitalen Kommunikation. Auf der anderen Seite verschwimmen aber auch die Grenzen zwischen formellen und informellen Gruppen zunehmend und Vereinen droht ein Profilverlust. (tim)
Andreas Hebbel-Seeger ist Professor für Medienmanagement im Bereich Sport- und Eventmanagement.