Die Handballmannschaft des VfL Stade steht vor einem Umbruch. Das letzte Heimspiel wird emotional. Es gibt Blumen, Geschenke und Lobreden. Bis dem scheidenden Trainer die Stimme versagt.

VfL-Trainer Dennis Marinkovic steht auf der Tribüne des Stader Sportcampus neben der Sprecherkabine am Geländer und spricht ins Mikrofon. Der Coach, der sich an diesem Sonntagabend kurz nach dem letzten Heimspiel der Saison vom Publikum verabschiedet, weil er in ein paar Tagen seinen Posten aufgibt, verabschiedet selbst auch Spielerinnen, die die erste Mannschaft verlassen werden.

Kurz vor dem Ende seiner Rede bricht seine Stimme. Marinkovic will seine Tränen gar nicht verbergen. Lisa Prior führte das Team drei Jahre lang. Torhüterin Nicola Augustin gilt mittlerweile als VfL-Legende wegen ihrer emotionalen Art. Julia Wichern würde Marinkovic am liebsten ein Denkmal setzen. „Es ist unfassbar, was sie auf und neben dem Platz leistet“, sagt der Nochtrainer. Da sei eine enge Bindung entstanden. Menschlich und sportlich.

Trikot von Julia Wichern gehört unter die Hallendecke

Wenn es eine Hall of Fame des VfL Stade geben würde, Wicherns Trikot müsste dort einen Ehrenplatz erhalten. Sagt Marinkovic. Oder der VfL macht es wie die Amerikaner. Die Basketballer ziehen Trikots von Legenden nach deren Karriereende unter die Hallendecke und vergeben die Rückennummern nicht mehr neu.

Nicola Augustin (Bild oben) und Julia Wichern werden ab der nächsten Saison nicht mehr für die erste Mannschaft spielen

Vor dem Anpfiff sitzt Dennis Marinkovic an diesem letzten Heimspieltag gegen den Wilhelmshavener HV auf der Trainerbank und schaut seinen Spielerinnen beim Aufwärmen zu. In seinem Kopf bewegt er viele Dinge. Dieses Spiel darf der VfL nicht verlieren. Die Meisterschaft ist nach einem Negativlauf zwar futsch. Aber so will sich Marinkovic nicht verabschieden.

Lisa Prior spielte drei Jahre für den VfL. Jetzt wechselt die 34-Jährige in die zweite Mannschaft

Auch nach Garrel am letzten Spieltag (12. April, 17 Uhr) fährt er nicht nur, um im Bus auf der Rückfahrt den Saisonabschluss zu feiern. Eine Niederlage würde ihn mächtig ärgern. Er weiß, dass seine Mannschaft auf dem Zahnfleisch geht. Im Training sind manchmal nur drei oder vier Spielerinnen. Aus verschiedensten Gründen.

Stade schlägt Wilhelmshaven 32:29

„Die Luft wird weniger. Die Akkus sind leer. Die Spielerinnen kämpfen“, sagt Marinkovic. Stade schlägt Wilhelmshaven schließlich 32:29. Der erste Schritt zum versöhnlichen Abschied ist getan.

Marinkovic beschäftigt die Zukunft des VfL Stade. Mit dieser Mannschaft gewann er zwei Meistertitel und spielte in der 3. Liga. Dem Kader fehlt in der kommenden Saison neben Julia Wichern, Lisa Prior, den Torhüterinnen Nicola Augustin und Emelie Harms auch eine der besten Werferinnen der Liga, Lena-Marie Müller. Sie wechselt nach Todesfelde/Leezen.

Rückraumspielerin Lena-Marie Müller erzielte für den VfL in der Saison bislang 118 Tore. Ab nächstem Sommer spielt sie für die SG Todesfelde/Leezen.

Der Verein steht vor einem Umbruch. Er setzt vor allem auf seine jungen Talente aus den Jugendmannschaften. Aleksandra Malmon-Osuch wird Trainerin. Bei den Zukunftsplanungen ist Dennis Marinkovic allerdings außen vor. Das ist nicht mehr seine Baustelle. Den Generationswechsel hält Marinkovic für den normalen Lauf der Zeit.

Große Anspannung vor dem letzten Heimspiel

Im Dezember hatte Marinkovic seinen Rückzug erklärt. Auch seine Akkulaufzeit gehe dem Ende entgegen. Er könne eine Pause gebrauchen, sagte Marinkovic damals. Mit dieser Entscheidung sei der Druck abgefallen, sagt der Trainer heute. „Aber die Einschläge kamen dichter.“ Seine Uhr lief mit jedem Spiel ab. Und am Morgen des letzten Heimspiels griff die Anspannung mehr denn je.

Dennis Marinkovic feierte mit dem VfL Stade zwei Oberliga-Meisterschaften.

Er geht nach dem Frühstück mit dem Hund spazieren. Phoebe ist ein Mix aus Dogge, Schäferhund und Ridgeback. Dreieinhalb, vier Kilometer. Er geht mit dem Mischling an der Leine die handballerische Taktik durch, wer spielt von Anfang an, wer sitzt erst mal auf der Bank. Zu Hause schaut er sich Videos an. Seine Tochter stellt Fragen. Marinkovic bringt an diesem Morgen nicht die Geduld auf, sie alle zu beantworten. „Nach links und rechts schauen, geht nicht“, sagt Marinkovic.

Blumen und Geschenke als Erinnerung an sieben Jahre

Seine Frau versorgt als Flugbegleiterin in einem Urlaubsflieger Touristen. Zwei Stunden vor dem Anpfiff landet sie in Hannover und fährt vom Flughafen direkt in die Sporthalle, um den Abschied ihres Mannes mitzuerleben. Schließlich steht sie bei der Verabschiedung neben ihm und schaut in seine geröteten Augen.

Es gibt Blumen und Geschenke. Marinkovic blättert in einem Album voller Fotos und persönlicher Worte der Spielerinnen, die er nur noch wenige Tage coachen wird. Was wird er am meisten vermissen? „Ich weiß noch nicht, aber sehr wahrscheinlich die Menschen“, sagt Dennis Marinkovic.

Quelle: Stader Tageblatt von Daniel Berlin

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